AHIMSA – Die Gewaltlosigkeit

Gewaltlosigkeit ist das höchste Dharma

Wir hatten ja schon über SATYA, die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit, gesprochen. Heute also nun AHIMSA, die Gewaltlosigkeit, das erste YAMA. Worum geht es?

Patanjali formuliert es im Yoga-Sutra (2.30) so: „Überlegtes und behutsames Umgehen mit allem, was lebt, besonders mit Lebewesen, die hilflos sind oder die sich in Schwierigkeiten befinden.“ Im Yoga-Sutra (2.35) ergänzt er: „Wer fest in der Gewaltlosigkeit gründet, in dessen Gegenwart lassen andere von Feindseligkeit ab.“

Am besten trifft es, wie ich finde, die einfache Formel „Leben und leben lassen“. Wobei mit Lebewesen sowohl Menschen, als auch Tiere und Pflanzen gemeint sind. Man kann also auch Pflanzen verletzen und töten.

Am konsequentesten leben die Anhänger des Jainismus nach diesem Prinzip; einer Religion, die vor ca. 2500 Jahren, ungefähr zur gleichen Zeit wie der Buddhismus, in Indien entstand. Jainas verzichten in ihrer Ernährung nicht nur auf Fleisch und Eier, sondern auch auf Wurzelgemüse, wie Karotten und Kartoffeln. Denn wenn man die Wurzel verzehrt, kann die Pflanze nicht überleben. Manche essen allerdings Käse und andere Milchprodukte, weil sie davon ausgehen, dass Kühe, Schafe und Ziegen beim Melken nicht leiden.

Konservative Jainas erkennt man daran, dass sie einen Mundschutz tragen und einen kleinen Besen mit sich führen. Der Mundschutz verhindert, dass versehentlich Insekten in den Mund gelangen und dadurch zu Schaden kommen. Der Besen dient dazu, den Ort auf dem man sitzen oder schlafen will, vorher sauber zu machen, damit kein Lebewesen dabei leidet.

Dieses bedingungslose Vermeiden von Gewalt gegenüber anderen Lebewesen, wie die alten Jainas es praktizierten, ist im Laufe der Jahrhunderte pragmatischer interpretiert worden. So wird inzwischen zum Beispiel die Anwendung von Gewalt zur Selbstverteidigung allgemein akzeptiert.

In der Neuzeit hat Mahatma Gandhi das AHIMSA-Prinzip erneuert. Er schließt nicht nur physische, sondern auch psychische Gewalt aus. Sein gewaltfreier Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft nannte er Satyagraha, das Festhalten an der Wahrheit.

Sri Aurobindo kritisierte Gandhis AHIMSA-Konzept als nicht allgemein anwendbar. Er vertrat einen pragmatischen Standpunkt, wonach es von der jeweiligen Situation abhängt, ob Gewaltanwendung erlaubt ist oder nicht.

Weltweit leben heute wohl 4,5 Millionen Jainas, die meisten davon in Indien. In Deutschland sollen es rund 200 sein. Als Respekt vor ihrer Religion tragen sie häufig den Familienname Jain. Bekanntheit erlangte in Deutschland ein Brite mit indischen Wurzeln, Anshu Jain, der von 2012 bis 2015, zusammen mit Jürgen Fitschen, der Co-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank war.

05/2022 CLM.

Comments
  • admin sagt:

    Die ultimative Form der Gewalt ist der Krieg. Aktuell und sehr erschreckend sehen wir das vor unserer Haustüre bei den Kämpfen in der Ukraine. Wieder einmal hat im Vorfeld die Politik allgemein, aber insbesondere die Diplomatie, versagt.
    Inzwischen haben Millionen von Flüchtlingen die Ukraine verlassen. Im Wesentlichen sind es Frauen mit Kindern, manchmal begleitet von den Großeltern. Die Familien werden zunächst komplett an die Grenze gebracht. Sowie Frauen, Kinder und Alte in Sicherheit sind, drehen junge Familienväter und andere Männer im kampffähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren um und ziehen zurück in den Krieg, um ihr Vaterland zu verteidigen. Sie kämpfen dafür, den Aggressor zu vertreiben und ihre Familien so schnell wie möglich heimzuholen.
    Erinnern wir uns zurück in das Jahr 2015. Damals kamen Millionen von Flüchtlingen aus den Staaten des Maghreb und des Mittleren Ostens, aber auch aus Afghanistan, Somalia, Eritrea und Südsudan nach Europa. Sie suchten Asyl vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat. Seltsamerweise waren es fast ausschließlich Männer im wehrfähigen Alter, überwiegend sogar zwischen 18 und 35 Jahren. Ganz anders also, als bei den ukrainischen Flüchtlingen. Eigentlich das genaue Gegenteil.
    Wie muss man sich das vorstellen? Die jungen Männer in den Großfamilien erhalten wohl alles verfügbare Geld, um unterwegs nach Europa die Schleuserbanden mit Tausenden von Dollars bezahlen zu können. Kann es wirklich sein, dass sie den Rest der Familie, also die verletzlichsten Mitglieder wie Frauen, Kinder und Alte allein zurücklassen? Verarmt, vielleicht hoch verschuldet, hilflos und schutzlos einfach ihrem Schicksal überlassen? In einem Bürgerkrieg mit marodierenden Warlords?
    Nein, das kann ich mir nicht vorstellen! Oder doch? Ich weiß keine Antwort. Zumal in diesen Gesellschaftsstrukturen die Familie traditionell ja an erster Stelle steht.
    Auch wenn es nur noch ums Überleben geht. So, wie momentan in der Ukraine. Aber auch dann lässt man als junger Mann doch nicht seine Familie im Elend und in Lebensgefahr alleine zurück und macht sich davon?
    05/2022 CLM.

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